Bau-Kunst
deckt urmenschliche Bedürfnisse
Ein Baukörper in der natürlichen Landschaft wie ein Schiff im Hafen. Terrassen, Glasfenster bis zum Boden, weiße Loggien — alles öffnet sich zum See hin.
Der genius loci
Jeder Balkon und jedes Fenster gibt den Blick frei auf das Wechselspiel von Innen und Außen. Harmonisch eingebettet in die Landschaft, gestaltet das Hotelgebäude diese See– und Weinberglandschaft aber auch selbst entscheidend mit.
Der Wegweiser und seine Bauherrin
Das Einzigartige von Ort und Stimmung eingefangen hat der Doyen der Südtiroler Moderne, Othmar Barth (1927-2010). Er war so etwas wie der Leibarchitekt der Gastwirtefamilie Ambach-Maran, mehr noch, ein Freund des Hauses. Kurz zuvor hatte er den Bade– und Restaurantbetrieb »Gretl am See« der Familie geplant. Dann wurde er von Anna Ambach (1926-2014) ans Nordost-Ufer des Sees gerufen, wo er für seine Bauherrin drei Jahre lang am Seehotel Ambach plante. Die Tante des heutigen Hoteleigentümers hat sich dabei blind auf ihren Architekten verlassen und auch bei den späteren Erhaltungsmaßnahmen nichts angetastet, ohne Barth hinzuzuziehen. Sie selbst hat bis zuletzt eine Suite ihres Hotels bewohnt. Nur wenige wissen, dass der Architekt das Seehotel für eines seiner geglücktesten Werke hielt und oft hier Urlaub machte, obwohl er in nächster Nähe in Brixen zu Hause war.
In der Planungsphase hat der Visionär Othmar Barth die Gegend mehrmals begangen, in all ihren Details studiert, um eine unverwechselbare Hotelarchitektur für diesen Ort zu schaffen. Dazu hat er die Formsprache der frühen 1970er Jahre benutzt, hat klare geometrische Konturen und Linien gewählt, hat – der Zeit weit voraus – als Mauerwerk Beton eingesetzt, den er nachträglich weiß verputzen ließ.
Er hat außerdem das offene Treppenhaus mit langen, geraden Treppenläufen bestückt – als konsequente Fortführung der Landschaft im kleinen Maßstab. Nicht allen gefiel Barths Sprache: Anfänglich wurde das Seehotel als gestrandetes Schiff verspottet. Dann entdeckten es vor allem Architekturliebhaber, die daran das Gesamtkunstwerk erkannten.
Gestern
1973 eröffnete Anna Ambach ihr Seehotel. 40 Jahre lang hat sie daran nichts geändert, was ihre Stammgäste sehr schätzten und was sich nachträglich als Glücksfall entpuppte. Denn so blieb der Baukörper im Originalzustand erhalten. Das architektonische Familienschmuckstück vererbte Anna Ambach ihrem Neffen Klaus Maran, der das Hotel heute zusammen mit seiner Frau Manuela führt. Sie übernahmen das mittlerweile kapitänlose Schiff, dem Gäste aus ganz Europa treu die Stange hielten. Um 2014 den Wohn-Komfort an die heutigen Bedürfnisse anzupassen, begannen die Erben Schritt für Schritt mit der Sanierung. Dafür beauftragten sie den Architekten Walter Angonese, dem es ebenfalls ein Anliegen ist, sämtliche Eingriffe unter dem Zeichen eines behutsamen Umgangs mit der Vergangenheit zu planen.
Heute
Das Hotelierpaar versteht es, Gäste daheim fühlen zu lassen. Beide halten große Stücke von Othmar Barth, beide wollen mehr als nur die Seele des Hauses bewahren. Sie wollen sie nähren.
Walter Angonese hat am Kalterer See ein doppeltes Heimspiel: Er stammt aus dieser Gegend und der Einfachheit von Barths Formsprache bringt er große Verehrung entgegen. Trotzdem war die Aufgabe schwierig, den 1970er Jahren gerecht zu werden und den Komfort des 21. Jahrhundert ohne Stilbrüche ins Haus zu holen. Beim ersten Eingriff 2014 ging die Familie Maran daran, die Haustechnik des Hotels generalzusanieren, die Bäder elegant-zeitlos neu zu gestalten, Teppiche, Stoffe, Pölster in der originalen Farbgebung zu erneuern, passende Sitzecken und Designer-Accessoires hinzuzufügen, die eine neue Wohnlichkeit schaffen.
Noch zu Lebzeiten von Tante Anna hat das Seehotel Ambach 2014 vom Südtiroler Landesdenkmalamt die Auszeichnung »historischer Gastbetrieb des Jahres« erhalten.
Die Ergänzung
2018 kam zum Hotel-Baukörper im Biotop-Park ein Badehaus mit Sauna und Freischwimmbad hinzu, nach dem Entwurf von Walter Angonese. Wie Barth hat auch er Stil- und Materialvorgaben seiner Zeit gewählt und sie an den Ort angepasst, also neu interpretiert.
Was Othmar Barths Werk auszeichnete, ist die Tatsache, dass er den Zeitgeist einfing, sich aber durchaus seine gestalterischen Freiheiten nahm und so Neues schuf im Zwischenbereich von Natur- und Kulturlandschaft. Die Architektursprache ändert sich. Wertvolle Architektur ist zeitlos.